Zeitlebens war der Kampf zwischen Mensch und Tier ein herausragendes Thema in der Bildwelt von Eugène Delacroix (1798–1863). Insbesondere der animalischen Kraft von Wildkatzen, die er sowohl in Menagerien als auch – in Gestalt von sezierten Löwen – im Naturhistorischen Museum von Paris studierte, widmete er sich mit großer Intensität.
Während er in Paris eingesperrten, gezähmten oder bereits verstorbenen Tieren begegnete, über die offensichtlich der Mensch gesiegt hatte, zeigt er auf dieser Radierung die Umkehrung der Machtverhältnisse: Eine Löwin hat einen Araber getötet und in siegreicher Pose ihre Pranken in die Brust des vor ihr liegenden Leichnams versenkt. Ihre aufgerissenen Augen, angelegten Ohren und das wie zum Knurren geöffnete Maul weisen auf die andauernde Erregung nach erfolgreicher Jagd. Daneben wird die Leblosigkeit des schutzlosen Menschen deutlich in Szene gesetzt. Der Kopf zur Seite gefallen, das Gewand zerrissen, der Turban aufgelöst, ein loser Pantoffel vor den nackten Füßen und weit und breit keine Waffe in Sicht – der Mann scheint keine Möglichkeit zur Gegenwehr gehabt zu haben.
Delacroix gehört zu den einflussreichsten Malern des 19. Jahrhunderts. Seine Haltung gegen die Kunstauffassung seiner neoklassizistischen Zeitgenossen brachte ihm bereits früh den Ruf als führendes Haupt der romantischen Schule ein. Neben seinem umfangreichen malerischen und zeichnerischen Werk hinterließ der Künstler auch rund 130 druckgrafische Blätter, von denen die vorliegende Radierung seine letzte und die einzige in der Technik der Weichgrundätzung (Vernis mou) ist, welche ein besonders sanftes Strichbild erzeugt.
Dorit Schäfer
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